Holocaust

Erarbeitet und erprobt von Romaine Jullier 2005, überarbeitet und angepasst von Dominik Sauerländer 2022.

Der Opfer wie der Täter und Täterinnnen zu gedenken kann schwierig sein. Die hier vorgelegten Ideen und Materialien wollen Schreckensbilder von den Opfern und Dämonisierung der Täterinnen und Täter vermeiden und vor allem Gewicht legen auf die zu- und wegschauenden Menschen. Dies im Hinblick darauf, dass wir alle immer wieder Zu- und Wegschauende sind. Dass in den drei Ikonen auf dieser Seite drei relativ unbekannte Frauen stehen, ist kein Zufall: Nicht Prominente, sondern «normale» Menschen, in welche sich die Schülerinnen und Schüler hineindenken können, prägen diese Vorschläge.

Die Opfer des Holocaust sehen wir häufig als Opfer im eigentlichen Sinn: entkräftete, gedemütigte und resignierte Menschen auf ihrem letzten Gang. Doch sie waren nicht nur das, sondern auch Menschen, die «vor aller Augen» aus der Gemeinschaft herausgerissen wurden, Lebensmut bis zuletzt schöpften und sich oft noch wehrten.

Die Täterinnen und Täter dagegen werden als un- und übermenschliche Scheusale angesehen, in deren Gedanken und Gefühle man sich nicht hineinversetzen kann. Solche gab es. Neuere Forschungen haben aber gezeigt, dass auch «ganz normale Menschen» (nach Daniel J. Goldhagen) zu Gräueltaten fähig waren – noch fähig sind?

Wäre der Holocaust ohne Zu- und Wegschauende möglich gewesen? Die Forschung entdeckt, dass die zahlreichen Aussenlager der Konzentrationslager, die Todesmärsche am Ende des Krieges, aber auch der Abtransport der Jüdinnen und Juden und anderer Verfolgter nicht in einer anderen Welt stattfanden. Es gab genügend Menschen, die vielleicht nicht von den Vergasungen, aber von der Massenhinrichtung wussten oder ahnten – oder wegschauten oder das Gesehene umdeuteten. Die wissenschaftliche Annäherung an diese Menschen zeigt, wie viele verschiedene Haltungen zwischen Widerstand und Anpassung möglich sind.

Welches war die Situation der Frauen in der Zeit und unter dem Regime des Nationalsozialismus? Waren Frauen als solche Opfer, weil der Nationalsozialismus Frauen unterdrückte? Oder gab es auch Frauen, die die Gräuel akzeptierten oder die sogar davon profitierten? Die Forschung hat sich der spezifischen Frage der Frauen erst vor kurzer Zeit zugewandt. Die Meinungen sind sehr gegensätzlich; das erschwert das Lernen von Fakten, aber regt an, sich anzusehen, wie eine Forschungsdiskussion abläuft.

Das neu eröffnete Museum und die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof lohnt eine Tagesexkursion. Deutschsprachige Unterlagen zum Besuch können Sie hier bestellen. Alle Informationen zum Besuch auf der website der Gedenkstätte: https://www.struthof.fr/

Einen besonderen Zugang zum Thema bieten die Materialien zum Kinderbuch «Dank meiner Mutter» von Schoschana Rabinovici.

Am Schluss bieten wir noch ein Gruppenpuzzle (oder andere Unterrichtsform) an zu fünf damals Jugendlichen (Opfer, Helfer und Täter) im Zusammenhang mit der Schweiz.

Den Opfern kann man nicht gerecht werden, weder ihrer grossen Zahl noch jedem einzelnen gefolterten, entwürdigten und getöteten Menschen. Man kann sich erschüttern lassen von Einzelschicksalen, man kann auch versuchen, den Opfern etwas gerechter zu werden, indem man sie nicht auf ihre Opferrolle begrenzt und indem man gewissermassen nachvollzieht, wie sie sich mit ihrem Verhängnis auseinandergesetzt haben, sich dagegen gewehrt und es keinesfalls als Schicksal verstanden haben.

Kapitel 1: Aufstand

Der Aufstand im Warschauer Ghetto gegen die Räumung dauerte einen Monat lang. Jüdinnen und Juden wehrten sich überlegt und mit lange vorbereiteten Waffen, die sie in den Zwangsarbeitsfabriken im Ghetto heimlich hergestellt hatten, gegen eine brutale und gut ausgerüstete SS-Einheit unter Jürgen Stroop.Einige Materialien zum Widerstand der Jüdinnen und Juden führen vor Augen, dass die Opfer sich keineswegs nur als solche sahen. Wenn ihr Widerstand keinen Erfolg hatte, so darum, weil sie von der Welt abschnitten (worden) waren.

Kapitel 2: Bildbetrachtung

Opfer und Täter: Eine Bildbetrachtung zu Henri Cartier-Bressons berühmter Fotografie «Deutschland, 1945» kann die seltene Konfrontation von Täterin oder Täter und Opfer vertiefen; die Rollen sind hier vertauscht, das Opfer die dominierende Person. Das Bild selber finden Sie auf dem Internet zuhauf, aber es ist nicht lizenzfrei. Empfehlenswert ist deshalb der Zugang über eine 2020 herausgekommene Graphic Novel, die die ikonische Fotografie mit dem historischen Hintergrund verbindet und sich als Unterrichtsmedium eignet. Weitere Literatur: Koetzle Hans-Michael: Photo Icons. Die Geschichte hinter den Bildern. Band 2. Köln 2002.

Titelbild von Cartier-Bresson, Deutschland 1945
Text: Morvan u. Tréfouel, Zeichnungen: Savoia
144 Seiten
bahoe books

Kapitel 3: Erinnerungen

Einen direkten Kontakt zu den überlebenden Verfolgten herzustellen, ist nicht einfach. Die aufgezeichneten Erinnerungen von Zeitzeugen sind bald noch die einzigen greifbaren mündlichen Quellen. Empfehlenswerte Medien:

Dass die grössten Verbrechen der Menschheit von ganz grossen Verbrechern begangen wurden und werden, liegt nahe. Aber die grossen Täter bedurften der willigen Mithilfe vieler kleinerer Täterinnen und Täter; sicher gab es Ausführende, die vor allem unter Druck und Befehl aus Angst handelten. Aber auch solche, die sich ihren eigenen Vorteil aus der willigen Mitarbeit versprachen. Überlegungen solcher Menschen sprechen uns am meisten an, denn wir kalkulieren ja auch, womit wir uns wofür einsetzen.
Die Themeneinheit geht gewöhnlichen Menschen, aussergewöhnlichen Menschen und ihren Nachkommen nach.

Kapitel 1: Polizeibataillon 101

Die Historiker Christopher Browning und Daniel Jonah Goldhagen stellten eindrücklich dar, wie normale Deutsche freiwillig zu Massenmördern wurden. Sie zeigten dies am Beispiel der Männer des Reserve-Polizeibataillons 101, das in Polen an Erschiessungen und Deportationen von Jüdinnen und Juden beteiligt war.

Wir empfehlen für die Sekundarstufe II selber Ausschnitte aus einer der beiden Pubikationen zu wählen. Die Schilderungen sind zum Teil sehr drastisch, insofern unbedingt bewusst aussuchen. IN der Publikation von Goldhagen eignen sich inhaltlich die Stellen zum Progrom von Jozefow, wo die Polizisten zum ersten Mal zu Mördern werden:

  • Vorbereitungen und Anweisung zur Razzia (S. 1f.) mit der Möglichkeit sich davon dispensieren zu lassen
  • Erschiessungen (S. 3f.) mit der Möglichkeit (S. 5), daran nicht teilzunehmen (Leutenant Buchmann)
  • Anwesenheit von Frauen, insbesondere von Frau Wohlauf (S. 5f.)

Bei Goldhagen sind historische Recherche und persönliche Vorstellungen bzw. Vermutungen des Autors miteinander im Text verwoben und verschlungen; Hier stellen sich Fragen:

  • Wie sind die Vorstellungen gekennzeichnet (Möglichkeitsform, Partikel wie «wahrscheinlich» usw.).
  • Ist es legitim, solche persönlichen Elemente in den Text hineinzubringen?
  • Was bleibt am ehesten: Schilderungen – Aussagen von Zeitzeugen – Vermutungen und Ausmalungen des Autors?
  • Was betont der Autor? (Freiwilligkeit der Teilnahme, Normalität der Täter und ‹Normalität› des Geschehens in deren Augen).
  • Was ist das Erschütternde an diesem Text?     

Für die Sekundarstufe I empfehlen wir die Unterrichtseinheit auf segu.de zum Pogrom in Jozefow, die mit einem Ausschnitt aus dem Buch von Browning arbeitet.

Literatur:

Kapitel 2: Geschäftsmann

Die Lebensläufe der KZ-Täterinnen und Täter sind aufgearbeitet und psychologisch untersucht worden. Auch juristisch wurden ihre Vergehen klassiert und beurteilt. Aber es waren nicht nur speziell brutal oder gefühllos veranlagte Menschen, sondern auch solche, die ihr kleines oder grosses Glück auf Kosten Verfolgter suchten. Der Journalist Günther Schwarberg ist einem kleinen Geschäftsmann (W. C. Többens) nachgegangen, der im Hannover Quartier Vegesack einen jüdischen Laden übernommen hatte – und er ist auf einen grossen Geschäftsmann in Sachen Ermordung der Jüdinnen und Juden gestossen. 
Aufgrund von Material sollen die Schülerinnen und Schüler über diesen Geschäftsmann «zu Gericht sitzen».

Kapitel 3: schuldig geboren

Den Tätern und Täterinnen annähern kann man sich auch über eine besondere Form von Opfern: ihren Kindern, die «schuldig geboren» mit den verschwiegenen Erinnerungen ihrer Eltern fertig werden mussten und müssen. Eine Selbstbiographie einer 1947 geborenen Frau und ein Brief eines Vater an seinen Sohn, der sich in eine vermeintliche Jüdin verliebt und sie den Eltern vorgestellt hat, zeigen wie sich unverarbeitete Schuld und Schuldgefühle weitervererben können.

Kapitel 4: Das Milgram Experiment

Eines der bekanntesten Experimente der Psychologie ist das sogenannte Milgram-Experiment. Die Frage, die der Sozialpsychologe Stanley Milgram in den 60er Jahren beantworten wollte, bezog sich auf die Bereitschaft ganz normaler Menschen, sich einer Autorität zu beugen und offensichtlich “unmenschliche” Anordnungen zu befolgen. Die Motivation für diese Experimentalreihe lieferten die Ereignisse des 2. Weltkriegs. Wieso waren unter dem NS-Regime so viele Menschen bereit, sich in den Dienst der Tötungsmaschinerie der Nazis zu stellen? Lag es an einem grundsätzlichen Charakterfehler dieser (deutschen) Menschen oder gibt es Situationen und Umstände, unter denen möglicherweise jeder in der Lage wäre, andere Menschen zu quälen und zu töten?

Die Identifikation mit den nicht Beteiligten ist zweifellos für die meisten von uns am naheliegendsten. Sie sind im juristischen Sinn unschuldig, denn «unterlassene Hilfeleistung» kann nur bei Unfällen und höherer Gewalt zum Anklagepunkt werden. Die Befragung von am Holocaust Unbeteiligten und die Auswertung ganz trivialer Quellen wie Fotografien zum Alltagsgeschehen zeigen aber, dass niemand eigentlich unbeteiligt ist.

Kapitel 1: Zeitzeugen

Ein KZ-Aussenlager in einer Kleinstadt: Der amerikanische Forscher Elmar Luchterhand hat 1980/81 die Menschen rund um die Aussenlager «Dogger» (Gegend von Hersbruck, östlich von Nürnberg) des Konzentrationslager Flossenbrügg befragt, was sie wahrgenommen haben. Die Interviews zeigen ganz verschiedene Haltungen. – Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten nach einer Einführung im Plenum die Haltung einzelner Zeitzeugen und tragen zusammen, in welch breitem Spektrum zwischen Anpassung und Widerstand sie sich bewegen. Zur EInführung finden sich Infomrationen auf der Website der Erinnerungsstätte.

Kapitel 2: Richard Stern

Ergänzung: Der im Bildzyklus als erster abgebildete Richard Stern (1899–1967) gab vor dem Boykott ein Flugblatt heraus, mit dem er sich schlagfertig gegen diesen wehrte (aus Wikipedia sub «Richard Stern»).

Kapitel 4: Widerstand

Ob ein Mensch Widerstand leistete oder sich anpasste, oder welche Haltung dazwischen er einnahm, war nicht von Anfang an festgelegt. Gerade zur Haltung des kompromisslosen Widerstandes kam man über schrittweise Enttäuschungen mit dem NS-Staat. Die Schülerinnen und Schüler analysieren den Weg von Hans Scholl, dem geistigen Führer der Oppositionsgruppe «Die Weisse Rose».

Waren Frauen am Nationalsozialismus beteiligt? Unter forschenden Frauen wird darüber heftig diskutiert – sie sprechen von einem Historikerinnen-Streit. Und weil Frauenfragen in der Geschichte ernst(er) zu nehmen sind, soll diese Kontroverse hier dokumentiert und für den Unterricht aufbereitet werden.

Die Kontroverse ist nicht nur für die Epoche des Nationalsozialismus, sondern auch für die Frage nach der Rolle der Frau ganz allgemein von Bedeutung: Ist die Frau wie sonst so auch zwischen 1933 und 1945 ein Opfer und die menschliche Katastrophe eine Folge des Patriarchats? Oder sind Frauen und Männer gleichermassen an der Geschichte beteiligt?Ein Urteil will die Unterrichtseinheit nicht aufdrängen; sie will höchstens auf die Problematik von einfachen Modellen hinweisen.

Kapitel 1: Extrempositionen

Zu Beginn informieren sich die Schülerinnen und Schüler über zwei zugespitzte Extrempositionen, versuchen sich dazu eine Meinung zu bilden und diskutieren ihre unterschiedlichen Positionen.

Kapitel 2: Beispiele

Im Anschluss daran oder auch direkt als Einstieg machen sich die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Frauen ohne historische Rolle bekannt, welche ganz verschiedene Funktionen bekleideten. Sie stellen fest, dass die Haltung der Frauen keine einheitliche war, dass es unter ihnen nicht nur Opfer gab.

Kapitel 3: Rolle

Die Schülerinnen und Schüler erleben an kurzen Ausschnitten aus der Forschungsliteratur, wie sich die Diskussion um die Rolle der Frau im Nationalsozialismus entwickelte; fortgeschrittene leistungsfähige Klassen können sich gewissermassen unter der Lupe die Diskussion der Forscherin Karin Windaus-Walser an ihrer Kollegin Gisela Bock und deren Verteidigung durch ihre Kolleginnen Dagmar Reese und Carola Sachse vertiefen – als Beispiel für eine wissenschaftliche Diskussion.

Schoschana Rabinovici, geboren 1932, erinnert sich an Ihre Kindheit mit der Ghettoisierung, Verschleppung in zwei Konzentrationlager und auf einen Todesmarsch mit dem Blick eines Mädchens. Dies macht ihre grässlichen Erlebnisse für Schüler/-innen besonders leicht zugänglich. Allerdings sollten erst 9. Klassenstufen mit dem Buch konfrontiert und ihre Lektüre begleitet werden. Dafür stehen zwei umfangreiche Sets von Arbeitsblättern und Lösungen zur Verfügung. Diese erschliessen auf Wunsch auch das Buch, die Gedanken der Autorin und die Leseerfahrungen der Schüler/-innen.

Link zur Verlagsseite mit Leseprobe

Arbeitsblätter

Die Klasse arbeitet in verschiedenen Sozialformen parallel zur Lektüre der einzelnen Kapitel die Arbeitsblätter durch. Jedes Kapitel kann mit einer Zusammenfassung abgeschlossen werden.

Die mit @ markierten Fragen setzen Internetanschluss voraus.

Den Holocaust aus der Perspektive von Jugendlichen und von allen Seiten sichtbar zu machen war das Ziel einer Masterarbeit. Sie ging von der Wissenschaft und Theorie aus, stellte sich aber mit konkreten Konzepten und Materialien (welche hier im Zentrum stehen) der Praxis. Die Unterlagen wurden an zwei Klassen durchgespielt. Sie sind für das höchste Niveau der Sekundarschulstufe I konzipiert, lassen sich aber auch, mit Abstrichen, für andere Niveaus verwenden.

Die vorgesehene Unterrichtsform ist ein Gruppenpuzzle für die Dauer von 5 Lektionen (inkl. Hausarbeit). Aber auch diesbezüglich lässt sich das Material anders einsetzen. Die Materialien über Heini Bornstein eignen sich für leistungsstärkere Schüler/-innen. 

Kapitel 1: Unterlagen für Kolleginnen

Einführung in die Themeneinheit für Kolleginnen und Kollegen 

Kapitel 2: Unterlagen für Schüler

Übersichtsunterlagen für Schüler/-innen

Kapitel 3: Dossiers

Dossiers zu den für Personen

Kapitel 3: Unterlagen Auswertung

Unterlagen für die Auswertung

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